Business Punk | Vor dem Wein ist nach dem Wahnsinn

Ein österreichischer Winzerspross, ein Bordeaux-Schloss mitten in der Wüste Gobi und ein Cabernet, der es mit Opus One aufnimmt – klingt wie ein Weinfiebertraum nach drei Gläsern zu viel? Willkommen in der Realität von Lenz Maria Moser, aka Lenz Moser V., aka der Mann, der China erklärt hat, wie man europäischen Hochadel in die Flasche presst.

Geboren in Rohrendorf bei Krems, mit der Hochkultur der Rebstöcke groß geworden, gezeichnet von den Nachwehen des Glykol-Skandals der 80er, geläutert durch Kalifornien, geliebt von chinesischen CEOs – Lenz Maria Moser ist kein klassischer Winzer. Eher eine Mischung aus Unternehmensberater, Barrique-Flüsterer und diplomatischer Missionar im Namen des Weins.

Seit 2005 pendelt der Mann mit Doppelnamen zwischen Österreich und China, hat sich dort ein Château (mit Wassergraben, versteht sich) bauen lassen, das offiziell zwar nicht ihm gehört, aber trotzdem seinen Namen trägt – wie ein guter PR-Stunt auf Steroiden. Er macht Wein in einer Gegend, in der man ohne Bewässerung nicht mal überlebt, die Trauben so klein sind wie Rosinen, wenn man sich zu viel Zeit lässt, und wo Businessgespräche eher an Shaolin-Training erinnern als an höfliche Tastings.

Wir haben mit ihm über alles gesprochen: über Cabernet aus der Wüste, über Win-Win als Verliererstrategie, über die Kunst, in China zu verhandeln, ohne die Contenance zu verlieren – und über die eigentliche Frage: Was macht einen europäischen Weinadeligen zum erfolgreichsten Langnasen-Winemaker des fernen Ostens?

Lenz Maria Moser XV – klingt wie ein französischer Adelstitel und ein Netflix-Drama. Wie viel Tradition steckt noch in Ihnen – und wie viel Rebellion?

Das „XV“ steht für 15 Generationen im Wein – durch und durch bürgerlich, bis auf die Tatsache, dass meine Tochter, die XVI (lacht), einen deutschen Adligen geheiratet hat. Ein Rebell war ich tatsächlich nur in der Schule – und im Marketing. Wer unique sein will, muss anders agieren, als es die Anderen tun. 20 Jahre Wein in China sind dafür ein gutes Beispiel: Produktion, Import, Export – mir ist niemand bekannt, der das dort in dieser Tiefe gemacht hat oder macht.

Sie stammen aus einer Winzerdynastie mit einer 15-Generationen-Linie – war China eine Flucht nach vorne oder eine logische Fortsetzung dieser Familiengeschichte?

Es war Zufall und Neugier! Und damit die logische Fortsetzung der Familiengeschichte. Mein Großvater erfand die „Lenz Moser Hochkultur“, revolutionierte die Rebenerziehung, entdeckte den Grünen Veltliner in Österreich und machte ihn groß. Mein Vater und ich waren die Ersten, die ihn – damals als Massenträger verpönt – auf Etiketten druckten. Heute ist der Grüne Österreichs Vorzeigewein schlechthin, vergleichbar mit dem Sauvignon Blanc aus Neuseeland. 2005 war ich dann einfach neugierig auf neue Weinländer. Nach meiner ersten China-Reise war klar: Das ist mein Ding – jung, hungrig, kapitalstark, und von dem Ehrgeiz getrieben, auch beim Wein die Welt positiv zu überraschen.

Ihre Familie war nicht Teil des Glykol-Skandals, wurde aber in den Abgrund gezogen. Würden Sie sagen: Die beste Lektion in unternehmerischer Resilienz bekam ich durch ein Drama, das Sie gar nicht selbst verursacht haben?

Das war schon eine harte Zeit – wenn du ein Jahr lang nicht weißt, ob du ins Gefängnis musst oder wirtschaftlich überlebst. Aber es hat mich gestählt für meinen weiteren Lebensweg – vor allem dafür, dem „Fine Wine“ zu dienen und nicht mehr in die Masse zu gehen. Das wäre diesem biblischen Produkt nicht angemessen. Man sieht es ja seit Jahren: Wenn Wein zur „Commodity“ wird, gibt es irgendwann Absatzprobleme. Die goldene Ära des Weins – von 1985 bis 2020 – ist definitiv vorbei. Keine Innovationen, zu wenig Marketing, kein starkes Branding – all das führt zu negativem Wachstum. Besonders beim Rotwein tut das weh: Seit Anfang der 2000er ist seine Bedeutung um mindestens 15 % eingebrochen – und damit auch der Gesamtmarkt. Denn Weißwein und Rosé konnten das nicht auffangen.

Sie sagen: „Business in China ist Kampfsport.“ Wo stehen Sie auf dem Belt-System – schwarzer Gürtel oder noch Weißgurt mit Haltung?

Ganz am Anfang – ich spreche leider die Sprache nicht, das wäre mir zu zeitaufwendig. Aber allein durch die 20 Jahre Erfahrung bin ich meinen Kollegen um eine Nasenlänge voraus.

Wie oft mussten Sie eine taktische Niederlage einfahren, um langfristig zu gewinnen? Und wie sehr widerspricht das Ihrer europäischen Erziehung?

Europäische Erziehung ist ein Geschenk – gerade in einer Welt voller Fake News und neuem wirtschaftlichen Darwinismus. Sie hilft, die Dinge mit Abstand und Coolness zu sehen. Kampfsport ist ja etwas Positives, solange man die Spielregeln beherrscht. Im Geschäft ist Zuhören können und Respekt zu zeigen immer ein Weg, den Kopf über Wasser zu halten. Das Konzept der taktischen Niederlage würde ich nicht überbewerten – ehrliches Ringen um die beste Lösung für beide Seiten ist nach wie vor das beste Rezept. Win-Win ist immer das Ziel – weil es langfristig gar nicht anders geht. Ich kann ja nicht 20 Jahre lang dauernd verlieren, oder?

Was ist schwerer zu ertragen: die 35 Grad in der Wüste Gobi – oder ein elfstündiger Verhandlungsmarathon mit gesichtsloser Körpersprache und ohne klares „Nein“?

Nein, nein – es ist nie gesichtslose Körpersprache, das ist ein Mythos. Meine Partner sind immer aus Fleisch und Blut und mit Herz bei der Sache. Sie kämpfen halt auch für ihr Geschäft – und ich für meines. Wenn es dann unser Business wird, haben wir beide gewonnen. Davon abgesehen: Die Hitze im Sommer, auf 1.100 Metern Seehöhe am Weingut in Ningxia, nahe der Wüste Gobi, mit kontinentalem Klima, ist übrigens sehr angenehm. Bei 20 Prrozent Luftfeuchtigkeit spürst du das kaum. Und die Nächte – unter 20 Grad – sind ein Hit .

Sie haben in Napa gearbeitet, für Mondavi, und in der Wüste Cabernet kultiviert – wo steht Ihrer Meinung nach heute die Seele des Weins: in Europa, Amerika oder Asien?

Die Seele des Weins ist überall dort, wo Top-Winemaker ehrlich arbeiten – egal ob im Mutterland Frankreich, wo wir nach wie vor viel von den großen Weingütern lernen können. Die Seele ist vor allem dann gegeben, wenn wir als Verantwortliche dem Wein die Unverwechselbarkeit seines Ursprungs mitgeben. Sprich: Du riechst ins Glas und weißt, wo der Wein herkommt – das ist die Seele des Weins

Wenn man Wein als kulturelles Kapital betrachtet – wie viel „Soft Power“ kann ein Château wie Ihres tatsächlich in internationalen Beziehungen ausspielen?

Ich weiß nicht, ob ich die Frage richtig verstehe. Aber Wein als Kulturgut – das gefällt mir, solange wir das Mystische weglassen und das Magische drinnenlassen.

Ich sehe meine Rolle am Château so: Gemeinsam mit der Unternehmensspitze und einem großartigen regionalen Wein-Team bringe ich Ideen ein, kenne den internationalen Markt und entwickle Produkte, die wirklich innovativ sind. Zum Beispiel unseren weißen Cabernet – ein Blanc de Noir aus Cabernet Sauvignon, weltweit der erste und bis heute einzige. Oder Programme, die die Einzigartigkeit des Château unterstreichen: In Ningxia wachsen – wegen der geringen Luftfeuchtigkeit – die kleinsten Cabernet-Beeren der Welt. Diese Beeren sind die Basis für unser erweitertes Mantra: „Eleganz und Frucht im Wein“ wird zu „Let the berries speak.“ Denn mit dieser Skin-to-Juice-Ratio ergibt sich die Typizität von selbst. Winmacher, was willst du mehr?

In China trinkt man aktuell weniger als einen Liter Wein pro Kopf. Wie bringt man ein Milliardenvolk zum Trinken – ohne sich zu betrinken?

Wie Bob Mondavi immer sagte: „Education, education, education.“ Er hat ja auch die USA für Fine Wine kolonisiert. In China müssen wir genau das tun – nur noch besser. Eines ist jedenfalls sicher: Das Land und seine Menschen lernen einfach schneller als wir Europäer.

Was ist verrückter: Weißwein aus Cabernet – oder ein Château mit Wassergraben mitten in der Wüste?

Beides zeigt, was China kann, was es will – und wohin es will. Ich finde das großartig.

Sie sagen: „Yes we can“ war Ihre wichtigste Lektion aus Kalifornien. Was wäre der chinesische Gegenbegriff – und was der österreichische?

China sagt: „Yes we do.“ Und in Österreich hören wir uns erst mal an, warum etwas nicht geht … (Das ändert sich aber gerade sehr – weil wir müssen.)

Sie schwärmen von den kleinsten Cabernet-Beeren der Welt – ist das Marketing oder ein bisschen vinophile Erotik?

Die Wahrheit! Ich glaube fest daran, dass Marketing einfach faktenbasiert sein muss, wenn es langfristig zu profitablen, nachhaltigen Wachstumsmodellen führen soll. Red Bull verleiht Flügel – das ist wahr. 

Sie sagen: „Win-Win ist was für Loser“ – was ist Ihre persönliche Definition von Erfolg?

Hab ich nie so gesagt – aber Kompliment für die Recherche. Ich will erreichen, dass beide Seiten etwas vom Geschäft haben. Mal hat der eine mehr, mal der andere – 50:50 gibt’s nicht wirklich. Außer bei einem Joint Venture – das finde ich übrigens eine großartige Form. Zum Beispiel bei meiner Partnerschaft „New Chapter“ Grüner Veltliner mit einem der besten österreichischen Winzer, Markus Huber – das fetzt.

Sie vermeiden politische Statements, gleichzeitig führen Sie ein wirtschaftliches Kulturprojekt mitten im Reich der Mitte. Wie politisch ist Wein, wenn man ehrlich ist?

Gar nicht politisch – finde ich.

Was wäre Ihr letzter Satz an Ihre Reben, wenn Sie morgen nie wieder eine Traube anfassen dürften?

Danke! Ich bin generell sehr dankbar für mein Leben. War’s immer leicht? Ist es momentan easy? Nein. Aber ich wache jeden Morgen auf mit dieser Haltung: Dankbarkeit. Für alles, was ich erfahren habe – und noch erfahren darf. Für meine Frau an erster Stelle, meine Kollegen, meine Familie (eh klar), meine Partner – ich könnte gar nicht mehr schwärmen.

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